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Aktueller Stand des Accords

„KiK ist bereit, ein rechtsverbindliches und individuell durchsetzbares Abkommen zu unterzeichnen.“

Als Folge des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch im Jahr 2013 haben mehr als 200 internationale Bekleidungsunternehmen und Gewerkschaften den „Accord on Fire and Building Safety“ ins Leben gerufen. KiK hat als zweites deutsches Unternehmen diesen Accord unterzeichnet, der sich bei den Fabriken um verbesserten Brandschutz, elektrische Sicherheit und Gebäudesicherheit kümmert. Alle Unterzeichner haben ihre Zulieferfabriken in Bangladesch dem Accord gemeldet und sich verpflichtet, diese praktisch und finanziell bei Sanierungsmaßnahmen zu unterstützen. Die Einhaltung und Umsetzung der Vorgaben werden von unabhängigen Beobachtern regelmäßig kontrolliert.

Am 31. Mai 2021 sollte der Accord in Bangladesch auslaufen, wurde aber vorläufig um drei Monate verlängert. Wie es nach August weitergehen wird, ist derzeit noch unklar. Nadine Reifenrath, CSR-Managerin Social Compliance bei KiK, über den aktuellen Stand der Verhandlungen und die Notwendigkeit eines solchen Abkommens.

 

Frau Reifenrath, der Accord sollte am 31. Mai auslaufen, wurde aber vorläufig um drei Monate verlängert. Wie kam es dazu?

Der Accord wurde am 15. Mai 2013 unterzeichnet und war ursprünglich für fünf Jahre angelegt. Im Juli 2018 haben sich dann alle Beteiligten aufgrund der erfolgreichen Zusammenarbeit dazu entschieden, das Programm weiterlaufen zu lassen. Am 1. Juli 2018 wurde der sogenannte Transition Key Accord unterzeichnet, der bis zum 31. Mai 2021 gültig war.

Gewerkschaften, Produzenten und Händler sind sich einig, dass der Accord wirklichen Fortschritt in Bangladesch erreicht hat. Nur über die Zukunft des Accords herrscht nun leider keine Einigkeit mehr. NGOs und Gewerkschaften plädieren für eine Weiterführung des Abkommens inklusive einer Rechtsverbindlichkeit, um den nötigen Druck für Verbesserungen in Sachen Gebäudesicherheit, Brandschutz und Arbeitsbedingungen zu erzeugen. Fabrikbesitzer möchten den Accord durch das RMG Sustainability Council, das auch von der Regierung Bangladeschs unterstützt wird, ersetzen. RMG steht übrigens für ready-made garments. Vermutlich ohne rechtsverbindliche Verpflichtungen, um den externen Einfluss zu minimieren und eigenständig zu arbeiten.

Aus meiner Sicht ist die bangladeschische Regierung noch nicht in der Lage vollständig die Themen Gebäudestatik und Feuersicherheit zu institutionalisieren. Auch aus diesem Grunde plädieren wir für eine Fortführung der elementaren Prinzipien für drei weitere Jahre.

Aktuell wurde eine Vereinbarung unterzeichnet, die den Transition Accord weiterführt. Sie dient als Überbrückung, um in den nächsten drei Monaten weiterverhandeln und eine zufriedenstellende Lösung für alle Beteiligten finden zu können.

 

Warum läuft ein solches Abkommen überhaupt aus?

Der Accord war immer befristet, denn das oberste Ziel einer solchen Vereinbarung ist, dass man das Land und die Fabrikbesitzer darin unterstützt, Sicherheitsstandards aufzubauen und langfristig aufrechtzuerhalten. Die Kontrolle und Einhaltung müssen also irgendwann an die Regierung und nationale Behörden übergeben werden. Die Industrie in Bangladesch ist nun der Meinung, dass dieser Punkt erreicht sei und sie keine externen Kontrollen mehr benötigen. Daher wurde das RMG Sustainability Council (RSC) gegründet und praktisch hat es bereits die Arbeit des Accords übernommen. Es besteht jedoch die Sorge, dass die Aufrechterhaltung und Umsetzung notwendiger Veränderungen in den Fabriken ohne externen Einfluss noch nicht reibungslos funktionieren wird.

Also könnte man sagen, dass der Accord seinen Zweck erfüllt hat und nicht mehr benötigt wird?

Wir bekommen vom RSC Warnungen über Missstände in den Fabriken, die wir dann direkt bei der Fabrik anmerken und eine umgehende Verbesserung anfordern. Werden die Mängel nach einer dreimaligen Ermahnung nicht beseitigt, werden die Fabriken aus dem RSC ausgeschlossen.

Ein neues Abkommen ohne Rechtsverbindlichkeit hätte vermutlich einen Bruch der mühsam erreichten Standards zufolge und die Bestrebungen zur Verbesserung der Gebäudesicherheit würden nachlassen. Ich denke jedoch, dass die tatsächliche Zusammenarbeit zukünftig besser mit den lokalen Stakeholdern abgesprochen werden muss. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Denn die Veränderungen sollen ja nicht ausschließlich für die Erfüllung externer Ansprüche umgesetzt werden. Die Fabrikbesitzer müssen erkennen, dass es am Ende des Tages einzig und allein um ihre Sicherheit und die Sicherheit ihrer Arbeitnehmer geht.

 

Welche konkreten Unterschiede gibt es zwischen dem RMG Sustainability Council und dem Accord?

Der RSC, eine nationale Vereinigung von Arbeitnehmervertretern, internationalen Einkäufern und des bangladeschischen Bekleidungsverbands, wurde letztes Jahr gegründet. In der vorangegangenen Accord-Initiative war der bangladeschische Bekleidungsverband nicht am Verhandlungstisch zugegen.   Eine weitere große Veränderung ist, dass das Accord-Sekretariat nach Amsterdam transferiert wurde, um einen internationalen Accord, also z.B. in Ländern wie Pakistan oder Indien, auf die Beine zu stellen.  Hauptaufgaben des Sekretariats bestehen in der Überwachung und Umsetzung der Accord-Anforderungen. Wichtig ist, dass man die Rechtsverbindlichkeit nicht aus der Hand gibt und dass das Accord-Sekretariat seine Kontrollfunktion unabhängig wahrnehmen kann.

 

Wieso sollten überhaupt Produzenten, Lieferanten und Händler gemeinsam an einer Lösung arbeiten? Ist das nicht Aufgabe der Politik vor Ort?

Eine ähnliche Diskussion gibt es aktuell beim Lieferkettengesetz. Natürlich tragen Unternehmen eine gewisse Verantwortung gegenüber ihrer Lieferkette, weil sie dort Aufträge platzieren. Nachhaltige Veränderungen wird es jedoch nur geben, wenn der jeweilige Staat das passende Grundgerüst dafür bereitstellt oder zu mindestens die Unternehmen bei der Kontrolle der Vorgaben unterstützt.

Die internationale Politik müsste bei möglichen Menschenrechtsverletzungen allgemein stärker eingreifen. Unternehmen können nicht die staatlichen Hoheitsaufgaben übernehmen, das Fundament muss von den Regierungen selbst geschaffen werden, um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen. Das sehen auch die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vor, die der UNO-Sonderbeauftragte John Ruggie entwickelt hat. Die Unternehmen haben die Pflicht Menschenrechte zu respektieren, der Schutz der Menschenrechte obliegt jedoch den Staaten.

 

Welche Lösung würde KiK bevorzugen?

Bangladesch stand in den letzten Jahren enorm im Fokus der internationalen Zusammenarbeit. Wir sehen jedoch auch hohen Bedarf in Pakistan und in Indien. Die Standards der Gebäudesicherheit und Arbeitsbedingungen müssen in diesen Ländern insgesamt angehoben werden, das geht jedoch nur mit einer gemeinsamen Initiative aller Stakeholder.

KiK ist bereit, ein rechtsverbindliches und individuell durchsetzbares Abkommen zu unterzeichnen. Es sollte einer unabhängigen Aufsicht unterstehen und auf die Ausweitung auf andere Länder, insbesondere Pakistan, ausgerichtet sein.

 

Ende Mai hat die Fabrik Al-Awwal in Karatschi, Pakistan gebrannt. Glücklicherweise wurden dabei keine Menschen verletzt. KiK hat diese bereits im Juli 2020 von der Liste ihrer sicheren Lieferanten gestrichen. Können Sie erläutern wie es zu einer solchen Streichung kommen kann und wieso solche Brände noch passieren?

Viele der Brandschutzmängel resultieren auf ungenügender Isolierung der elektrischen Leitungen. Kurzschlüsse können sehr schnell Brände verursachen.

Bereits im Januar 2017 haben wir unsere eigene Gebäudesicherheitsinitiative in Pakistan, anhand der Accord-Prinzipien gestartet und haben einige Fabriken vor Bränden und Einstürzen bewahrt.

Unser Anspruch ist es immer die Fabriken dabei zu unterstützen die Gebäudesicherheit, Brandschutzmängel und Arbeitsbedingungen mit finanziellen Mitteln oder unserer Expertise zu verbessern. Es gibt jedoch auch Fälle, bei denen die Fabrikbesitzer auch nach mehrmaligen Aufforderungen und Abmahnungen die Mängel nicht beseitigen. Bei solchen Härtefällen bleibt uns leider nichts anderes übrig, als die Verträge mit den Lieferanten zu kündigen.

 

Wird das deutsche Lieferkettengesetz eine Auswirkung auf die Diskussion um eine Nachfolgeorganisation des Accords haben?

Seitens der Unternehmen könnte es ein Umdenken auslösen, dass eine höhere Unterstützung nach sich zieht. Die Brand Association, also der Verbund der beteiligten Marken im Accord, verzeichnet derzeit nur einen geringen Rücklauf bei der Bereitschaft zur Unterzeichnung einer neuen Vereinbarung. Beim damaligen Transition Agreement gab es hingegen eine positive Rücklaufquote von über 80%.

Ich würde mich freuen, wenn sich auch weitere Unternehmen für eine internationale und rechtsverbindliche Vereinbarung aussprechen würden, da diese Mitgliedschaft direkt auf die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz einzahlt.